Das Selbsthilfebüro der Paritätischen Sozialdienste in Karlsruhe veröffentlicht für Selbsthilfegruppen und Freunde der Selbsthilfe aus dem Stadt- und Landkreis Karlsruhe folgenden Beitrag:
Besichtigung und Vortrag Rehaklinik Freiolsheim (Fachklinik für drogen- und mehrfachabhängige Frauen und Männer)
Freitag, 22.11.2024 von 17:30-20:45 Uhr
Der therapeutische Leiter Nikolaus Lange begrüßt die EL-dro-ST-Besuchsgruppe aus Karlsruhe, Pforzheim und Reutlingen und heißt sie willkommen. Im Sitzungssaal werden die Anwesenden mit Kaffee und hausgemachtem Gebäck bewirtet, während der Klinikleiter Herr Lange sich erkundigt, welche Fragen und Themen für die Eltern und Angehörigen von Interesse sind. Im Verlauf seines Vortrages wird er auf die von ihnen genannten Themen sowie weitere Aspekte eingehen.
- Therapiekonzepte /-ansätze
- Einbindung der Eltern in Therapie
- Der Weg von der Reha in die Substitution
- Wartezeit für die Reha
- Spielsucht/ADHS
- Medizinisches Cannabis
- Struktur/Tagesablauf in der Klinik
- Krisenmanagement bei Rückfällen
- Angehörigenseminar/Briefing bei Entlassung
- Nachsorge in der Klinik
In der Fachklinik Freiolsheim werden Menschen mit Sucht- und Abhängigkeitserkrankungen therapiert. Wichtig ist es, bei jeder Person den individuellen Kontext zu sehen. Lt. Herrn Lange fängt Therapie da an, wo sich eine/r auf den Weg macht, und das ist anstrengend. Die Therapie beginnt mit einer Entgiftung als Akutbehandlung, bezahlt von der Krankenkasse sichert sie das Überleben.
Eine Abhängigkeitserkrankung ist gehirnverändernd, denn die Droge nistet sich ein und verändert die Andockstellen. Diese Prozesse sind reversibel, doch das Gehirn braucht dafür viel Zeit. Aus diesem Grund dauert die Therapie in Freiolsheim sechs Monate. Eine Cannabisentgiftung braucht mindestens 12 Wochen, denn die Substanz lagert sich im Fett ein.
Beim „Umlernen“ des Gehirns bleibt aber immer eine Spur zurück. Herr Lange zieht den Vergleich mit einem PC: Man löscht etwas, aber es ist trotzdem noch irgendwo da. Auch nach 10 Jahren ist noch ein Funke vorhanden. Das Suchtgedächtnis funktioniert wie eine Postkarte vom Meer. Sobald ich die Postkarte anschaue, erinnere ich mich an den Urlaub am Meer. Ziel der Therapie ist es also, langfristig mit der chronischen Erkrankung umgehen zu können.
Während in der Akutbehandlung in der Psychiatrie die Entgiftung vor sich geht, hat die Reha die Aufgabe der Entwöhnung und zielt darauf ab, eine Teilhabe an der Gesellschaft wiederherzustellen. Dabei darf man nicht vergessen, ist die Sucht weg, bleibt die vielleicht vorher schon vorhandene Depression trotzdem da.
Das Konzept der zieloffenen Suchtarbeit sieht Herr Lange als problematisch an, da dies nur zu Beginn der Drogensucht sinnvoll ist. Konsumierenden finanziert die Rentenversicherung nur abstinenzorientierte Programme.
In der Klinik Freiolsheim gibt es keine Substitutionsprogramme, Beikonsum wird ebenso wenig toleriert. Von daher arbeitet die Klinik konservativ. Es gibt in Baden-Württemberg nur zwei Kliniken, in denen während der Klinikbehandlung substituiert wird. Eine Substitutionsreha zielt auch nicht in erster Linie darauf ab, das Substitut auszuschleichen (SURE = substitutionsgestützte Reha).
Den Aufnahmeprozess in der Reha Freiolsheim erläutert Nikolaus Lange wie folgt:
- Bewerbung schreiben (wieso Reha?/ Lebenslauf/Suchtverlauf/Sozialbericht von der Drogenberatungssstelle)
- einen halben Tag Klinikaufenthalt zum Kennenlernen (Reha-Gespräch mit Arzt)
- dann Therapieangebot
Wie findet man die passgenaue Reha?
- zuerst zur Suchtberatungsstelle
- danach zur Deutschen Rentenversicherung
- passende Klinik finden: www.meinerehabilitation.de
- am besten immer anrufen, ob Programme noch aktuell sind
(Als Psychoseklinik empfiehlt Herr Lange den Ringgenhof.)
Therapie- und Behandlungsansatz in Freiolsheim
Es gilt das Prinzip der Freiwilligkeit, Klinikpatienten/-innen sollten weitgehend eigenbestimmt in die Klinik kommen.
Was ist in der Rehaklinik anders als in der Akutklinik?
Man arbeitet nach dem psychosozialen Modell, fragt in der Psychotherapie nach den Hintergründen, auch soziale Aspekte (Umfeld, Herkunftsfamilie, Beruf etc.) werden berücksichtigt, ebenso nehmen die Behandelnden die Zukunft mit in den Blick. Biographiearbeit ist von großer Wichtigkeit. Wer nicht nach hinten schaut, erlebt die Vergangenheit immer wieder.
Bislang gibt es nur Angehörigengespräche, für die Zukunft plant der therapeutische Leiter aber eine intensivere Angehörigenarbeit in der Klinik.
Der sozialen Arbeit mit Partner/-in, Eltern, Angehörigen wird ein hoher Stellenwert beigemessen. Voraussetzung ist immer, dass der Patient/die Patientin damit einverstanden ist. Das Klinikpersonal unterliegt selbstverständlich der Schweigepflicht.
60% der Entlassenen begeben sich in Weiterbehandlung. Diese kann wie folgt aussehen:
- Adaption (4 Monate, d.h. Verselbstständigung unter stationären Bedingungen. Gruppentherapie+Praktikum+Selbstversorgung)
- Tagesklinik
- Ambulante Reha (1x pro Woche)
- Nachsorge (Stabilisierung des Erreichten)
Die Eltern erfahren auch, dass eine Rehamaßnahme nicht sozialraumgebunden ist, deshalb ist z.B. die Ettlinger AGJ-Beratungsstelle auch für KarlsruherInnen zuständig. Die Beantragung läuft dann über die behandelnde Klinik.
Stationäre Angebote in der Rehaklinik Freiolsheim
- 25 Wochenstunden Therapieprogramm
- interprofessionelles Arbeiten
- 60 Plätze / Kinderversorgung bis 10 Jahre
- 6 Stationen / eine Station für Frauen
- gemischte Behandlungsgruppen mit 9-12 PatientInnen
- vier Stammgruppen pro Woche (je 1,25-Stunden-Sitzungen)
- dreimal wöchentlich Indikativprogramm: Rückfallvorbeugung, Motivation, Sucht+Depression, Sucht+Kriminalität etc.)
- viermal vormittags Arbeitsphase in Garten, Küche, Schreinerei, Schlosserei oder Wäscherei
- Anleitung zur eigenen Freizeitgestaltung: Aufgaben erfüllen, selbst organisieren, Flur putzen, Rasen mähen usw.
- Sporttherapie einmal wöchentlich Pflicht: Walking, Pilates, Yoga, Krafttraining, Entspannungstraining
- Fitnessstudio offen zugänglich
- Ernährungsberatung
- berufliches Orientierungsseminar
- Schule und Schulabschlusseinschätzung
- Personell: zwei Psychiaterinnen und eine Internistin/Allgemeinmedizinerin zur Behandlung komorbider Störungen
- Strukturiertes Wochenende: Spaziergänge, Handys erlaubt, Heimfahrten werden ab einer gewissen Stufe unterstützt
- 50 Minuten Einzelgespräch pro Woche
- PTBS wird in Achtsamkeitsgruppen therapiert
- ADHS-PatientInnen, gut diagnostiziert, ab nächstem Jahr auch Indikativgruppe
Rückfall und Krisenbewältigung in der Klinik
Man verfolgt den Ansatz des Lernens, versucht diesbezüglich ein Problembewusstsein bei den Suchtkranken zu entwickeln.
Bei Außenkonsum und vor der Rückkehr in die Klinik muss eine Selbstanzeige erfolgen. Reflexion und Motivation werden überprüft, dann ist i.d.R. ein Verbleib in der Klinik möglich. 10-15 % der Rückfälle werden eingestanden, die Dunkelziffer beträgt 10 %. Ein Konsum innerhalb der Klinik ist absolut tabu.
Wie können Eltern eine Therapie unterstützen?
Angehörige können ihren Sohn / ihre Tochter unterstützen, indem sie Gespräche mit ihnen führen, zuhören, Unterstützung anbieten, begleiten. Wichtig ist, eine klare Haltung zu zeigen und zu benennen („Finde ich gut, finde ich nicht gut“).
Angehörige sollten ihrem Sohn / Ihrer Tochter zuhören. Lob und Fragen wie „Wie geht es dir?“ sind immens wichtig für Süchtige, die mit hoher Scham behaftet sind und sich verkehrt fühlen.
Ist das Kind in Therapie, entsteht ein unterschiedliches Niveau, schließlich ist nur das Kind, nicht auch die Eltern in Therapie. Nimmt hier das Kind die Eltern ein Stück mit, erreichen alle wieder das gleiche Niveau.
Hier kann auch die Elternselbsthilfe hilfreich unterstützen.
Klinikrundgang
Um 20:10 Uhr beenden die Anwesenden die Sitzung und begeben sich auf einen Rundgang durch die Klinik. Besichtigt werden Therapieräume, Sporträume, Bibliothek, Küche, Patientenzimmer und ein gemeinschaftliches Wohnzimmer.
Der Klinikbesuch endet um 20:45 Uhr. Die Gäste bedanken sich bei der Klinikleitung für das aufschlussreiche Gespräch und die Möglichkeit der Besichtigung.
Protokoll: Ute Lührs
Selbsthilfebüro Karlsruhe
Kontakt
Tel.: 0721 / 912 30 – 25
Fax: 0721 / 912 30 – 52
E-Mail: selbsthilfe@paritaet-ka.de
Kurz-Link: www.selbsthilfe-ka.de
Sprechzeiten
Montag: 11 bis 15 Uhr
Dienstag: 8 bis 12 Uhr
Donnerstag: 14 bis 18 Uhr